Lassalle in (vor-)revolutionären Zeiten

Zurückgekehrt von seiner Reise nach Paris lernt Lassalle in Berlin Gräfin Sophie Hatzfeld kennen, die seinen weiteren Lebensweg begleiten und nachhaltig beeinflussen wird. Sie ist Angehörige der alten preußischen Oberschicht, zwanzig Jahre älter als der Student aus Berlin, und bemüht sich seit einiger Zeit verzweifelt um eine Scheidung sowie eine Regelung ihrer Vermögensansprüche. Der Kandidat der Philosophie Lassalle wird sich ihretwegen – zunächst unterstützt von seinen Freunden Oppenheim und Mendelssohn – in die Tiefen der Jurisprudenz einarbeiten und über acht Jahre den Hatzfeld-Prozess bis zum endgültigen Erfolg begleiten. Zum öffentlichen Skandal wird die Sache, als Oppenheim und Mendelssohn am 20. August 1846 eine Kassette mit Briefen des Grafen Hatzfeld bei dessen Mätresse entwenden. In der Folge wird Lassalle zunächst wegen des Verdachts auf Vernichtung von Beweismitteln im März 1847 in Untersuchungshaft genommen, jedoch am 4. Mai freigesprochen. Wegen des Verdachts auf  intellektuelle Urheberschaft des Kassettendiebstahls wird er am 20.Februar 1848 ein weiteres Mal inhaftiert und am 11. August erneut freigesprochen.[11]

Arbeiter vor dem Magistrat während der Revolution 1848, Gemälde von Johann Peter Hasenclever

Auf Grund der Inhaftierung war sein Anteil an der 48er-Revolution entsprechend klein, es waren quasi Lehrjahre, die ihn u. a. nach Düsseldorf und somit in die Nähe von Karl Marx führten. Aber er hatte einen tiefen Einblick in die gesellschaftlichen Veränderungen und ihre Zusammensetzung genommen, denn zur großen Beunruhigung der Anhänger der Reaktion kamen die Protagonisten der demokratischen Bewegung aus vielen Schichten: ein liberales und selbstbewusster werdendes Bürgertum und die vielen, die durch Universität und Ideale der Burschenschaft geprägt waren. Aber es gehörten auch  Teile der Beamten­schaft, der Administration und Vertreter der herrschenden Klassen dazu.

 

Nach der Niederschlagung der 48er Revolution und Auflösung der Paulskirchen-Versammlung mussten die wichtigsten Kräfte der Revolution emigrieren, während Lassalle in der Kernphase im Gefängnis einsaß und somit nicht wegen umstürzlerischer Tätigkeit belangt werden konnte.  Kaum freigesprochen und aus der Haft entlassen, beteiligte er sich umgehend am revolutionären Prozess, in dessen Verlauf er sich zum erstenmal aktiv an die Arbeiter der rheinischen Industriegebiete wandte und zum bewaffneten Kampf aufrief, u. a. in der Neusser Rede vom 21. November.[12] Dies brachte ihm die erneute Verhaftung und Gefängnisaufenthalt ein, wobei ihm allerdings Briefverkehr und das Schreiben von Artikeln für die Neue Rheinische Zeitung gestattet wurde.




[11] Zu den Prozessen s. Na’aman, S., Lassalle, Hannover 1970, S. 95 – 114.

[12] Zur „Neußer Rede“ s. die Vorbemerkung zur „Assisen-Rede“ in: Lassalle, Reden und Schriften, hrsg. von E. Bernstein, Bd. 1, Berlin 1892, S. 193f., sowie die Darstellung bei Na’aman, Lassalle, S. 153 – 160.